Was 1991 im Berliner-Eichkamp begann …
... bahnt sich überzeugend (s)einen Weg
Zur Entwicklung der Fanfaronade des Märkischen Turnerbundes Brandenburg (MTB) seit 1991
„DDR-Meisterschaften“ und „Aufstiegsturniere“ waren bis 1990 die dominierenden nationalen und jährlich stattfindenden Wettkämpfe für die Fanfarenzüge des ehem. Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) der DDR. Eine Teilnahme an internationalen Wettbewerben stand aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Debatte.
Mit der Vereinigung im Oktober 1990 und der damit einhergehenden Auflösung der sozialistischen Sportorganisation (DTSB) inkl. all ihrer Sportverbände ergaben sich für die Vereine des ehemals selbstständigen Musik- und Spielleuteverbandes der DDR, die den Sprung in die „neue Zeit“ geschafft hatten, fortan Möglichkeiten, an Veranstaltungen/Wettbewerben in den sog. alten Bundesländern und darüber hinaus in Europa und selbst in Übersee teilzunehmen. Viele nutzten die Chancen, einige von ihnen sogar sehr erfolgreich.
Ein schmerzhafter Einschnitt
Doch was wurde aus denen, die sowohl personell als auch finanziell nicht in der Lage waren, Auslandsreisen durchzuführen, sich international umzuschauen oder ihre Leistungen mit bislang unbekannten Klangkörpern zu messen? War ihre abwechslungs- reiche sportlich-musikalische Betätigung von nun an Vergangenheit? Blieben ihnen zur Realisierung ihres Hobbys nur noch Sommer-, Stadt- und Strandfeste, Lampion- und andere Umzüge in der Region?
Bernd Schenke, im Jahr 1966 Mitbegründer des Wettkampfsystems der Sportspielleute im damaligen Deutschen Turnverband (DTV) der DDR, war bis Oktober 1990 Vizepräsident des damaligen Musik- und Spielleuteverbandes (MSV) des DTSB der DDR, der im Oktober desselben Jahres wie alle Sportverbände der Ex-DDR aufgelöst wurde. Mit „Mann und Maus“ erfolgte die Übernahme der einstigen DTSB-Spielleute aller Genres in den Deutschen Turner-Bund (DTB).
Nur zwei Monate später wählten die märkischen Turnerinnen und Turner auf ihrem Gründungsturntag in Frankfurt (Oder) Bernd Schenke zum 1. Vizepräsident des neuen Märkischen Turnerbundes Brandenburg (MTB), dem Landesfachverband für Turnen, Freizeit-, Gesundheits- und Spitzensport im Land Brandenburg. Von da an - bis auf den heutigen Tag - oblag ihm damit ab sofort unter anderem auch die Verantwortung für die Sportspielleute - oder korrekter die Turnermusiker wie sie im DTB heißen - im Land Brandenburg.
1991 Berlin -v.l.n.r.- Leo Ertel/ ehemaliger Stabführer Fanfarenzug Potsdam. Günther Langrock/ ehemaliger Vizepräsident DTB. Uli Baumann/ ehemaliger Präsident des MTB, bei der Siegerehrung.
Foto: Homepage des Märkischen TurnerBundes
Eine Chance für alle
Wissend, dass es im DTB kein kontinuierliches Wettkampfsystem wie im ehem. DTSB der DDR gibt und geben wird, damit der Faktor Leistungsstimulanz für die Aktiven in den Vereinen ausgeschaltet ist, gingen seine Überlegungen nach 25 Jahren wieder in dieselbe Richtung wie schon 1966: ein funktionierendes Wettkampfsystem zu schaffen.
Nach kurzer Zeit fand er Verbündete in Potsdam und Berlin, die mit ähnlichen Gedanken unterwegs waren. Im Ergebnis von Gesprächen mit dem Präsidium des MTB wurde der Gedanke geboren, für die Sportfanfarenzüge eine „Offene Meisterschaft“ unter Schirmherrschaft des MTB auszuschreiben. Gedacht war zunächst an die Vereine in den neuen Bundesländern, die bis dahin regelmäßig an „DDR-Meisterschaften“ und „Aufstiegsturnieren“ teilgenommen hatten.
Die im Frühjahr 1991 in Berlin-Charlottenburg stattfindenden Kinder- und Jugendsportspiele des Berliner Turnerbundes (BTB) bildeten wenig später den Rahmen der „1. Offenen Meisterschaft des MTB für Naturtonfanfarenzüge“.
Vier Fanfarenzüge - Berlin, Hoyerswerda, Potsdam und Strausberg gingen im Stadion am Eichkamp an den Start - Gäste aus Zwickau spielten außer Konkurrenz - und schrieben damit Geschichte.
Im darauf folgenden Jahr setzte sich das Starterfeld bereits aus sieben Vereinen zusammen. Und da sich zwischen ihnen sehr schnell ein verständliches Leitungsgefälle entwickelte, wurde ab 1992 zur „Offenen Meisterschaft“ noch ein „Offener Pokalwettkampf“ ausgeschrieben, zu dem die etwas leistungsschwächeren Vereine unter veränderten Bedingungen starteten.
1994 Hoyerswerda: Die Fanfaronade ist stets ein Zuschauermagnet, wie hier in Hoyerswerda
Foto: Homepage des Märkischen Turnerbundes Brandenburg
Wirkungsvolle Veränderung der Außendarstellung
Der allgemeinen Entwicklung folgend, war es an der Zeit, für beide Wettkämpfe zur Erhöhung und Verbreiterung ihres Bekanntheitsgrades eine sog. Dachmarke zu finden.
Dieter Frackowiak aus Strausberg hatte die passende Idee: Fanfaronade. Seit 1998 wetteifern die Fanfarenzüge unter diesem Namen.
Sollte nun vielleicht der Gedanke aufkommen, die zur Fanfaronade antretenden Vereine aus den neuen Bundesländern schmorten damit im eigenen Saft, dann bleibt festzustellen: völliger Irrtum. Denn seit der ersten Hälfte der 90er Jahre bestimmen Fanfarenzüge des MTB/BTFB weltweit das Niveau dieses musikalischen Genres. Zahlreiche Siege und vordere Platzierungen vor allem der (Amateur)Vereine aus Berlin, Potsdam und Strausberg bei internationalen Wettbewerben, bei Welt- und Europameisterschaften sind deutliche Beweise für ihre hohe Qualität.
Das bestätigte sich zuletzt im Sommer 2012 zur Weltmeisterschaft der World Association Marching and Show Bands (WAMSB) in Calgary (Kanada). Die SG Fanfarenzug Potsdam e. V. gewann gegen internationale Konkurrenz - bestehend aus professionellen Bands - den Weltmeistertitel im Marschwettbewerb. Zwei Jahre zuvor - 2010 in Potsdam - hatte sich der Fanfarenzug des KSC Strausberg e. V. den Weltmeistertitel im Marschwettbewerb, die SG Fanfarenzug Potsdam e. V. im Marsch- und im Showwettbewerb den Vize-Weltmeister erkämpft. Der Berliner Fanfarenzug e.V. kam im selben Jahr in Marsch und Show jeweils auf Platz 9.
Von nun an auf gehobenerem Level
Dem internationalen Trend folgend und um den international startenden Vereinen bestmöglichste Voraussetzungen zu schaffen, wurde zur 21. Fanfaronade am 4. Juni 2011 in Cottbus erstmals nach dem „One World Adjudication System“ gewertet, wie es bei internationalen Wettkämpfen weltweit eingesetzt wird.
Es basiert auf der Philosophie, Musikgruppen universell und einheitlich zu bewerten; stellt die Fragen WAS wird zu Gehör gebracht (Repertoire) und WIE wird es gespielt in den Vordergrund und lässt keine offene Wertung zu.
Es war eine erfolgreiche Premiere, die sowohl den Wertungsrichtern als auch den Vereinen eine deutlich erkennbare Zukunftsfähigkeit bescheinigte und dem gesamten Wettkampf einen größeren Spannungsbogen von der Eröffnung bis zur Siegerehrung vermittelte.
Diese positive Atmosphäre setzte in den Folgejahren nachhaltig fort und wird ganz sicher auch in den kommenden Jahren zu erleben sein.
Und das genau so, wie die Fanfaronade weitere neue Freunde gewinnen wird.
Text: Bernd Schenke
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